PR-Desaster: Werbefilm der SAS weckt den Zorn der Gemüter – Oder ist Selbsterniedrigung eine Tugend?

13. Februar 2020

Als junger Mann vor drei Jahrzehnten war ich mal Filmemacher. Ich produzierte selbständig Werbe- und Imagefilme. Ganz groß kam ich nie heraus, aber für eine nationale Auszeichnung hatte es gereicht. Ich war also ganz gut, besser als viele andere. Und darauf bin ich sogar etwas stolz. Warum auch nicht? Das Schreiben der Drehbücher machte mir am meisten Spaß. Jede Szene wurde bis ins Detail durchdacht. Mein großes Vorbild Woddy Allen soll auch so einer gewesen sein. Mit ihm kann ich mich aber nicht messen.



Man stelle sich vor man müsste einen Werbefilm für eine skandinavische Fluggesellschaft SAS produzieren, der etwas zum skandinavischen Selbstbild erzählen soll. Damit es sympathisch herüberkommt, soll vielleicht noch alles mit einer Priese Humor und Selbstironie gewürzt sein. Die Schweden, Norweger, Dänen und Finnen sind nun mal so wie sie sind und das ist auch gut so. Deshalb machen so viele gerne in Nordeuropa Urlaub. Es gibt sogar Leute, die nach Schweden ausgewandert sind und es nach Jahrzehnten immer noch hier aushalten, was nicht immer ganz einfach ist. Aber so ist das mit der Liebe zu einem Land.

Also frisch ans Werk. Warum sollte man ausgerechnet in ein Flugzeug der SAS einsteigen? An dem korrekt geprüften Reifendruck des Bugrades liegt es sicherlich nicht. Das erledigen hoffentlich alle Mitbewerber. Was fällt einem beim Brainstorming wertfrei  von der Leber weg ein für einen gelungenen Werbefilm von ein paar Minuten?  Was soll rüberkommen? Die Gelassenheit und heitere Freundlichkeit, die vielen jungen Mädchen, die jeden anlächeln, die Fleischbällchen (köttbullar) als Nationalgericht. Die ruhige und entspannte Atmosphäre. Die Leugnung eines verregneten Sommers, damit etwas Humor im Werbespot aufkommt. Selbstverständlich darf der Sinn für eine hohe Sicherheitskultur, der  Sozialstaat, die Fürsorge für die eigenen Mitarbeiter und vor allen Dingen für die Passagiere, die sich gut aufgehoben wissen wollen, nicht fehlen. Und alles gewürzt mit der Bescheidenheit immer besser werden zu wollen. Damit lässt sich schon was anfangen. Zu lustig darf der Film allerdings nicht ausfallen, denn es dreht sich alles um Sicherheit und Verantwortung. Da hat eine Sektlaune in der Pilotenkanzel selbstverständlich keinen Platz. Ich will einen erfahrenen Piloten am Steuerknüppel wissen, der gut ausgeschlafen und emotional ausgeglichen seinen Job macht. Pilot und Copilot bilden ein Team, schauen sich gegenseitig auf die Finger und sind dankbar dafür. Mit den paar Ideen lässt sich schon was anfangen.

Und was segnet SAS als Werbefilm ab, der von einer dänischen Werbeagentur produziert wurde, die nun unter Polizeischutz steht, weil einige ganz schön sauer geworden sind und es zu einer Bombendrohung kam? Hier die für sicherlich viel Geld produzierten paar Minuten, die eine ganze Nation in Aufruhr zu bringen scheinen. Das Machwerk eines typischen PR-Desasters  wurde übrigens zeitweise von SAS vom Netz genommen:


Ein Werbefilm als Erziehungsmaßnahme. Der Film behauptet es gäbe absolut nichts, was skandinavisch ist. Dafür mutet der Clip dem Zuschauer einen miesen Schnitt, eine schlechte Ausleuchtung, unpassende Musik und eine abenteuerliche Kameraführung zu: Werbefilm der SAS. What is truly Scandinavien? 3394 Likes und 56.797 Dislikes zum Zeitpunkt des Schreibens ist auch eine Leistung. Offenbar haben die meisten Zuschauer die „Schnauze voll von der ewigen politischen Korrektheit der  verlogenen und depressiv verstimmten Selbsterniedrigung“. 

Es ist mir übrigens völlig egal, wer die Büroklammer oder die Fleischbällchen erfunden hat. Es kommt darauf an, was man daraus macht und wie man zu den Dingen steht. Aerodynamisch ausgefeilte Windkraftanlagen mit mittelalterlicher Technik zu vergleichen, ist Unfug. Eine Fluggesellschaft sollte da schon mehr technischen Durchblick besitzen, damit ihre Flugzeuge nicht vom Himmel fallen. Der Film ist dumm.  Falsche Bescheidenheit ist nur ein mieser Trick, der leicht zu durchschauen ist. Da fällt schnell der Vorwurf des moralisch herablassenden Gutmenschen, dem es nur um das eigene Ego geht. Den Machern dieses Films gehört gehörig der Kopf gewaschen, um wieder auf den Teppich zu kommen.

Wenn sich jemand selbst in den Schmutz zieht, dann ist das seine Sache. Dann schadet er jedoch sich selbst und sollte lieber daran arbeiten ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln, das mit Gelassenheit und Humor Selbstkritik verträgt und zur Reflexion fähig ist. Niemand ist perfekt und niemand erwartet den perfekten Menschen, die perfekte Firma und eine perfekte Welt, denn das ist alles nur Schein und Trug. Ehrliche Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen ohne abgehoben zu sein, sind den meisten unter uns angenehm. Von denen kaufen wir auch was, zu Beispiel ein Flugticket oder eine Tüte Bonbons.

Aber den Großteil seiner meist skandinavischen Kunden in den Schmutz zu ziehen und mit kindlicher Stimme oberlehrerhaft vorzuführen, es gäbe doch überhaupt nichts typisch Skandinavisches, kommt einer Abwertung und Erniedrigung der eignen Kunden gleich. Mein Tipp: Nichts bei Firmen kaufen, die ihren eigene Kunden nicht wertschätzen. Dazu muss man nicht  Werbepsychologie studiert haben. Das weiß jeder Handwerker, jeder selbständige Arzt, jeder Rechtsanwalt, jeder Taxifahrer und jede Putzfrau.

Was ist da in den Köpfen schief gelaufen? Jeder Mensch hat eine kulturelle Identität als Teil seiner Persönlichkeit, die einem verhilft zu verstehen, woher man kommt, warum man so ist und wohin es vielleicht geht. Das bisschen gesunder Nationalstolz führt nicht automatisch zu einer Vorliebe für Fallschirmspringerstiefel, zu Kriegsgelüsten, zu gegenseitigen Beleidigungen und zu Streitereien, wie manche glauben. Im Gegenteil verhilft dieses Bewusstsein zu innerer Zufriedenheit, im günstigsten Fall sogar zu Rücksichtnahme und Toleranz auf Gegenseitigkeit.  Der gefestigte Mensch, der weiß, wer er ist und wo er steht, fühlt sich wohl in seiner erlernten Rolle als Schwabe, Badener, Münchner, Kenianer, Same, Deutscher, Schwede, Inder oder was weiß ich. Der Wunsch einer Gemeinschaft oder Gruppe angehörig zu sein, die ähnlich tickt und die gleiche Sprache spricht, schafft Sicherheit und Geborgenheit. Das ist völlig natürlich. Selbstverständlich hält man deshalb zu Seinesgleichen und ist vielleicht auch etwas stolz auf das, was die eigene Kultur geleistet hat. Beim Durchblättern der Geschichtsbücher werden wir feststellen, das entsetzlich viel schief gelaufen ist. Aber man lernt ja aus den Fehlern der Vergangenheit, übernimmt ohne sich mit Schuldgefühlen zu plagen die geschichtliche Verantwortung und ist froh oder gar dankbar, dass die Generationen vor mir das Auto, die warme Dusche, das Klopapier, die Heizung und all die unzähligen Dinge entwickelt und aufgebaut haben, die mir ein gutes Leben ermöglichen. Und daran waren auch andere Kulturen beteiligt, die wir ebenfalls wertschätzen. So kommt man miteinander klar, obwohl es Unterschiede gibt – und ohne sein eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen.

Und es ist schön sich inzwischen als Otto Normalverbraucher in den Flieger setzen zu können ohne Angst zu haben, weil die Fluggesellschaft hoffentlich weiß, worauf es ankommt. Nach diesem wirren Werbefilm kommen jedoch Zweifel auf.

Natürlich träume ich auch  von einer friedlichen globalen Welt ohne Krieg und Chauvinismus, in der sich jeder frei bewegen kann. Selbstverständlich will das auch eine international aufgestellte Fluggesellschaft, weil sie damit Geld verdienen kann und auch muss. Dieses Ziel erreicht man jedoch nicht durch ein abwertendes Verhalten gegenüber sich selbst, der eigenen Kulturleistungen und anderen. Und auch nicht durch die Verleugnung seiner eigenen Geschichte und Herkunft. Das langfristige Ziel einer Weltgemeinschaft lässt sich nur durch den Dialog der unterschiedlichen Kulturen erreichen. Nichts ist interessanter als die Sichtweise der Anderen, von denen man lernen kann. Dafür braucht es Zeit. Weltbürger wird man nicht durch Selbstverleugnung im Crashkurs.

Eine längst überfällige Diskussion ist jetzt losgetreten,  wie eine Google-Suche mit den Begriffen SAS reklamfilm kritikstorm mit bis jetzt über 11.000 Suchergebnissen offenbart. Ich hoffe nur, dass nicht nur SAS aus dieser Lektion lernt. Schließlich will ich weiterhin mit SAS die Welt erkunden können.

Nachtrag: Ich will  den alten Zeiten keineswegs nachjammern. Das heutige Leben ist viel angenehmer. In einer lahmen Super Constellation mit einer verqualmten und lauten Innenkabine hätte ich keine Lust mit 500 km/h in niedriger Höhe den ganzen Tag über den Atlantik zu rumpeln, bis man durch die vielen Drinks an Bord halb beschwipst aus dem Flugzeug schwankt. Aber der nachfolgende Werbefilm der Lufthansa aus dem Jahr 1958 ist nach meinem Geschmack:


Gediegenes Filmhandwerk: Willkommen an Bord. Werbefilm der Lufthansa aus dem Jahr 1958.

Aus heutiger Sicht wirkt der Film manchmal etwas komisch und gekünstelt. Trotzdem schön. Damals hätte ich mir ein Flugticket in die USA nicht leisten können. Dem technischen  Fortschritt sei Dank, dass Fliegen kein Privileg der Superreichen mehr ist.